Woche XXXVII | Montag, 09.05.2016

Alle sind auf ihren Wegen, weitgehend gesund. Ich höre von meiner Tochter inzwischen mal Geschichten aus ihrer Grundschulzeit und Orientierungsstufe – die mir die Haare zu Berge stellen. Ich habe der Schule ein feinsinniges Mädchen überlassen, und dort wurde sie – zwar viel indirekt durch die exemplarische Behandlung anderer Kinder – angegangen wie ein stumpfer, roher Klotz. Übertrieben gesagt. Sie hat so oft geweint dort, von dem wahren Ausmaß wusste ich kaum etwas. Hat sie damit ein Lehrerinnen-Herz erweichen können? Nein, wohl eher nicht. Schließlich müssen Kinder gefordert werden. Sie kann mir viele dieser Erlebnisse erst jetzt erzählen, nach Jahren. Ist kein Wunder, dass sie am Ende mit Kopfschmerzen umgehen musste als körperlichem Ausdruck, da die Sprache ihr nicht diente. Sie war einfach nicht gefragt. Niemand in der Schule hat sich die Mühe gemacht, mein Kind wirklich anzuhören und die Effekte dieser Art des Forderns zu erforschen. Ich zu Hause hatte dann nur noch ein verbeultes, quietschendes Bündel und wenig Lust, mein Kind mit Fragen zu nerven, wenn es einfach seine Ruhe brauchte.
Ich glaube, die Methoden der schulischen Disziplinierung um des Erfüllens eines Lehrplans willen machen jedes empfindsame Wesen erstmal sprachlos und schlagen es in die Flucht. Wenn es sich wie bei uns nicht um Löwen handelt, sondern um Gazellen.
In der Schule meines Sohnes entfällt der Druck, der z.B. durch Benotung der Leistungen erzeugt wird und den viele Eltern aufbauen aus Sorge um den Lernerfolg, der sich dann äußert in den Sprüchen der betroffenen Mitschüler und auf diesem Wege auch meine Kinder erreich(t)e. Aber womit werden dort die Kinder gelockt, damit sie die Lernaufträge annehmen wollen? Das ist mir derzeit nicht so ganz klar, ich weiß nur, was ich tue, wenn ich jemandes Interesse auf etwas Bestimmtes lenken möchte ohne Gewalt anzuwenden. Vor allem schalte ich nach Möglichkeit die Angst ab, dass es nicht klappen wird. Denn alle Kinder, mit denen ich bisher zu tun hatte, sind grundsätzlich offen für Neues. Meine Kunst besteht darin, das zu fördern und nicht zu verbauen oder zu verstören. Ich lade sie ein, sich meinen Vorschlag anzusehen, erlaube ihnen, Nein zu sagen, komme später wieder darauf zurück, erörtere die Wichtigkeit aus meiner Sicht und biete verschiedene Verbindungsmöglichkeiten an. Was ich auf jeden Fall vermeide, ist jegliche Form der Manipulation, auch das Loben oder Belohnungen zähle ich dazu.
Mein Sohn jedenfalls kann nicht alle Aufträge der Schule zu seiner Sache machen und mir fällt derzeit die Aufgabe zu, beispielsweise seine Schreibfertigkeiten verbessern zu helfen. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, ich bin sehr dafür, dass meine Kinder die Kulturtechniken zu nutzen lernen. Aber wenn ich sie schon zur Schule schicken muss, dann soll dort wenigstens auch die dazu erforderliche Situation geschaffen werden, dass die Kinder es lernen können. Es reicht nicht, ihnen das anzuordnen und nun macht mal und seid leise. Genauso wie ich zu Hause für die Möglichkeit sorgen muss, dass Hausaufgaben für die Schule erledigt werden können, genauso muss in der Schule das Lernen ermöglicht werden. Also stellt sich die Frage, was dazu nötig ist.
Nach meiner eigenen Erfahrung insbesondere erwachsene Menschen als Anleiter, Begleiter, Beschützer, Bereitsteller, Einlader und Willkommenheißer. Die den Kindern das Beste zutrauen und ihnen Raum, Gelegenheit und Hilfestellung geben, es auch zutage zu fördern. Als Menschen mit dem Herzen am richtigen Fleck. Erst als Jugendliche beginnen die Heranwachsenden auch die Erwachsenen differenzierter wahrzunehmen, können guten Menschen Fehler zugestehen, in doofen Menschen auch freundliche Züge entdecken. Bis dahin herrscht eher eine Art entweder-oder, möchte ich meinen, und die große Sehnsucht nach einer heilen Welt. Hauptsache die Lehrerin ist nett. Dann kriegt man auch den Rest irgendwie hin.
Ich bin nicht sicher, ob aus mir mal eine Löwenmutter werden könnte, die sich kampflustig vor ihre Jungen wirft. Vielleicht hätte es meiner Tochter ein paar Kopfschmerzen erspart. Oder vermehrt, denn die Kampfmütter, die ich kenne, finden auch wenig Gehör. Eher bekommen sie das Gefühl, dass es ihren Kindern nach jedem Einsatz noch schwerer wird in der Schule.
Wir kommen nicht drumrum, uns als Menschen im Gespräch zu treffen, Verständnis zu suchen, Einfühlung, um die Gratwanderung von Fordern und Fördern gut zu meistern im Sinne der Stärkung unserer Kinder, denen wir einen Planeten hinterlassen, der erstmal grundsaniert werden muss. (Was spielen wir uns also auf als diejenigen, die wissen, was gut ist für die Kinder??!) Ein guter Grund, endlich zusammenzuarbeiten und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, statt sich gegenseitig die Zuständigkeiten zu verlesen.